Arthur Schnitzler an Hugo von Hofmannsthal, 26. 6. 1903



*Wien, 26. 6. 903
mein lieber Hugo, aus Ihrem Brief muſs ich entnehmen, daſs unſre Karten von der Reiſe gar nicht zu Ihnen gelangt sind. Ich habe Ihnen aus Venedig (auch Hans war auf dieſer Karte unterſchrieben) und aus Lugano eine (ſogar versificirte) Nachricht geſandt. In Lugano haben wir im H. d. parc gewohnt, und die liebenswürdige verheiratete Tochter der Madame Bèha zeigte uns die »Stätte«, wo *Sie zu ſchreiben pflegten. Was war es nur, das Sie damals arbeiteten? Vom Wetter waren wir nicht ſehr begünſtigt; auf dem Generoso Nebel, Gewitter; in Varese ein Platzregen, daſs wir nicht bis zum Grd Hotel gelangten u lieber gleich zurück fuhren. Die andern Seen fielen ſozuſagen ins Waſſer, was ſie doch gar nicht mehr notwendig haben. Vor Lugano: Venedig (Hans zeigte uns einige *palazzi, die wir ſonſt gewiſs nicht geſehen hätten), Segelfahrt nach Torcello (wenn Sie es nicht kennen, verſäumen Sie’s nicht bei nächſter Venezianer Gelegenheit) – Padua, Vicenza, Verona, Mailand. Luini, an dem ich (rein körperlich gemeint) vor Jahren vorbeigegangen war, ging mir wundervoll auf. –
Von »geordneter« Arbeit wäre nichts mitzutheilen. Zumeiſt beſchäftigte mich das ſonderbare, *oft begonnene, einige Mal beendete, jedes Mal hingeworfene Junggeſellen-Egoiſtenſtück; Sie wiſſen, daſs es zuletzt als Misgeburt zur Welt kam, ſiameſiſch gezwillingt. Nun ſcheint der operative Eingriff, der mit Vorſicht unternommen werden mußte, gelungen – d. h. beide Geſchöpfe leben, das eine ſchwächlich, das andre mit höherer Vitalkraft begnadet, *aber ob ſie endgiltig gedeihen werden, iſt noch nicht zu ſagen. Das eine Kind wird eben aufgepäppelt.
– Am Roman geſchah nichts weiteres; über eine luſtſpielartige, moderne Komödie wurde meditirt. Im ganzen mehr Kunſt- und Gedankenſpiel als Schaffensintenſität. –
Mit großem Vergnügen las ich die mousquetaires v. Dumas auf der Reiſe. Welche Leichtigkeit, welcher Reichtum! Einiger Leichtſinn verzeiht ſich von ſelbſt; *und die paar falſchen Münzen wirken, als machte sich ein Kind damit einen Spaſs ſie ſtatt echten, die doch da ſind, auszuſtreuen. –
– Bahr hat mir von Ihren letzten Plänen erzählt, Richard, der geſtern mit Paula u Mirjam bei mir war, desgleichen. Ich wünſchte bald zu hören wie weit Sie gediehen ſind.
Die deutſchen Schall u Raucher ſah ich vorgeſtern, Erdgeiſt, das Talent, das große Wedekindeſche *blitzt meines Erachtens nur ſelten auf. Vielleicht ernſthaft nur in der Figur des Dr Schön (der einzigen, die wirklich vollendet geſpielt wurde (Reicher).) Das unerträgliche aber an dem Stück iſt mir, daſs der Humor darin der ſich ſo sataniſch geberdet, nicht viel teufliſcher iſt als ein weitgereiſter Commis als Mephisto auf einem Maskenball, – der mit dämoniſchen Weibern Champagner zu trinken vermeint – während es *ſich um Köchinnen und Kleinoscheg handelt. – Im ganzen lieb ich Dichter nicht, die ihren Nachlaſs bei Lebzeiten herausgeben. –
Wie steht es mit Ihren ferneren Sommerplänen? Ich denke etwa um den 10. Auguſt nach Südtirol zu gehen. Mendel, Campiglio[.] Richard will mit – radeln.
Laſſen Sie baldigſt von ſich hören. Wir grüßen Sie und Gerty herzlichſt.
Ihr
A.
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