bei dem völligen Mangel an Nachricht muss ich denken, daß Sie fast den gleichen Tag, wo wir abgereist sind, angekommen sein dürften. Es ist nun fast ein Jahr her, daß wir zusammen gereist sind und wenn man es zusammenrechnet, wie oft wir, in dem dazwischenliegenden Jahr, uns gesehen haben, so wird wohl kaum so viele Zeit herauskommen, als wir miteinander verbracht hätten, wenn wir, ich in
Petersburg und Sie in
London, leben würden und wir uns auf 8 oder 10 Tage etwa in
Berlin rendez-vous gegeben hätten. Und doch sind wir weder so reich an Freunden und wohlthuenden Menschen, noch so stumpfsinnig überzeugt von der endlosen Dauer des Lebens, noch so begraben in dem Reichthum unserer Arbeit, daß wir auf das verzichten könnten – was vielleicht das einzige Geschenk ist womit unser Schicksal uns für eine unfreundliche Gegenwart entschädigen wollte: die Freude uns aneinander als Lebendige zu erfreuen.
Fast beneide ich diejenigen, die nach uns einmal in Ihren ausführlichen Tagebüchern lesen und wochenlang ganz darin leben werden – wie es mir jetzt mit dem prachtvollen
Briefwechsel Hebbels geht.
Wirklich hier geht es so weit – ein ganz einziger Fall – daß uns das Alltagsgesicht einer Sti
mmung überliefert ist, dann der Brief, der sich dieser Sti
mmung nachmittags abringen ließ, und endlich als sie abends sich von innen erleuchtete und erwärmte, das Gedicht, das aus ihr entstand. Über
Goethe ist uns so viel überliefert: aber an keinem Punkt schließt sich’s so zum Kreise; Nirgends können wir ganz deutlich den Übergang aus dem Leben und Leiden ins Gestalten gewahren. Die Jugend erscheint uns traumhaft und befremdlich, selbst wie ein Gedicht;
in dem späteren Alter ist Poesie und Reflexion freilich eins, aber auf Kosten der ersteren. Was aber in dem, der die stärksten Theile des
Faust schrieb, vorgegangen ist, an den Tagen wo er sie schrieb, wie sich damals das Fühlen in Schaffen umsetzte, das würde ich lieber erfahren als vieles andere, aber freilich so erfahren wie mans bei
Hebbel erfährt, wo man’s sieht, wie durch ein Glasfenster.
Wie aus diesem Brief zu entnehmen, regnet es. Aber ich wüßte gern etwas von Ihnen,
bitte Arthur, schreiben Sie mir.