Hermann Bahr an Arthur Schnitzler, [29. 3. 1903?]



*Lieber Arthur,

ſsehr gern und mit großer Freude ſchreibe ich über den »Reigen« und natürlich ſo bald als nur irgend möglich. Wann, das weiß ich freilich nicht und bitte Dich, damit nicht irgend eine Verſtimmung herauswächſt, folgendes zu bedenken. Ich muß dieſe Woche ſechs Mal ins Theater gehen und ſoll drei Feuilletons ſchreiben, »Die Duse«, »l’altro pericolo«, »Braut von Meſſina«, u. eigentlich auch noch eins über die »Seceſſion«. Du haſt aber keine Ahnung, wie mich der Theaterbeſuch jetzt aufregt u. wie unſinnig mich die geringſte Arbeit *anſtrengt. Geſtern habe ich außerdem wieder einen Anfall jener Herzbeklemmungen bekommen, diesmal auch noch mit ſolchem Schwindel verbunden, daß ich den Nachmittag nur auf dem Sopha ausgeſtreckt, die Augen feſt geschloſſen, beide Hände auf die Schläfen gedrückt zubringen konnte, immer mit dem Gefühl, es iſt ja doch alles aus und ich werde niemals mehr geſund. Unter dieſen Bedingungen arbeite ich jetzt und darf daher eigentlich gar nichts verſprechen, weil ich mich bei jedem Feuilleton wundere, wenn es ſchließlich doch fertig geworden iſt.
Ferner mußt Du auch wiſſen, daß die Redacteure des *Neuen Wiener Tagblatt (Wilhelm Singer und den braven Herrn Epſtein ausgenommen) einen Bund bilden, deſſen einzige Sorge es zu ſein ſcheint, auszuſinnen, was etwa geeignet wäre, mich zu ärgern, und dies mit der Behendigkeit von Affen ſogleich ins Blatt zu ſetzen. Daß gegen Dich noch nicht eine ungeheuerliche Gemeinheit verübt worden iſt, wundert mich ſchon lange. Geht ſie vielleicht gelegentlich des »Reigens« los, ſo vergiß nicht, daß ſie, zwar an Dir executiert, aber Dir gar nicht zugedacht iſt.
Bitte, ſchicke mir gleich ein Exemplar des »Reigens«. Meines iſt nemlich confisciert *worden, von der Cenſur. Das heißt: Der Herr Hofrath Jettel hat es ſich bei mir ausleihen laſſen und ich habe es niemals mehr zurückbekommen.
Das Incohärente dieſes Briefes mußt Du meinem Zuſtand vergeben. Wie ich nur Zeit habe, fahre ich zunächſt zu Julius, der einmal doch mein Herz ordentlich unterſuchen muß.
Freitag war mir rieſig leid, ich war bei der Steuerbehörde, die mich auch noch ſekiert.
Herzlichſt
Dein
Hermann
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    Die Duse] Hermann Bahr: Die Duse. (Als Gast im Carl-Theater vom 31. März bis 8. April 1903). In: Neues Wiener Tagblatt, Jg. 37, Nr. 89, 31. 3. 1903, S. 1–2.

    l’altro pericolo] Hermann Bahr: L’autre danger. (Komödie in vier Akten von Maurice Donnay. Zur morgigen Aufführung im Carl-Theater durch die Truppe der Duse). In: Neues Wiener Tagblatt, Jg. 37, Nr. 94, 4. 4. 1903, S. 1–3.

    Braut von Messina] Hermann Bahr: Theater und Kunst. Burgtheater [Die Braut von Messina]. In: Österreichische Volks-Zeitung, Jg. 49, Nr. 96, 7. 4. 1903, S. 4.

    Secession] Hermann Bahr: Sezession. (Siebzehnte Ausstellung der Vereinigung bildender Künstler Österreichs). In: Österreichische Volks-Zeitung, Jg. 49, Nr. 96, 7. 4. 1903, S. 1.

    Freitag] der verpasste Besuch vom 27. 3.

    sekiert] österreichisch sekkieren: ärgern, belästigen