mein lieber Hugo, wenn Sie diesen Brief beko
mmen, sind Sie schon wieder zurück von Ihrem kleinen Ausflug und haben hoffentlich
alle Verdrossenheit verloren. Ich wüßte wirklich nicht, was ich jetzt ohne Arbeit beginnen würde. Komme ich durch äußere Umstände, unruhige Verhältnisse durch einige Tage nicht dazu, wenigstens ein paar kurze Stunden zu schreiben, so versinke ich in eine wahre Schwermuth. Hier bin ich nun im ganzen gut dran. Ob viel dabei herausko
mmen wird, bei dem nämlich was ich jetzt schreibe, ist ja noch nicht sicher, aber das wesentliche liegt ja wo anders. Nachher gibts ja beinah nur Aerger, ob einem was gelungen ist oder nicht. Ich habe hier ein kleines
Lustspiel neu geschrieben (dessen erste Fassung vor 2 Jahren in
Tegernsee unter glücklichern Umständen entstand) und bin jetzt mit einer ziemlich sonderbaren
Novelle beschäftigt, die mir viele Freude macht. Von dieser hoff ich zuversichtlich, dass sie auch Ihnen andern Freude machen wird. Meine große
Novelle hab ich der
N. Dtsch. Rundschau gegeben; sie ist nicht übel ausgefallen; bisher kennen sie
Salten u
Schwarzkopf, die beide sehr zufrieden scheinen. – Wie lange ich noch hier bleibe weiss ich nicht genau; in etwa 8–10 Tagen dürfte ich jedenfalls in
Wien sein; aber über die erste Augusthälfte herrscht noch große Unklarheit. Mitte August soll eine Fußtour bego
nnen werden, die ich in
Altaussee mit
Richard ausgeheckt habe.
Paul Goldmann,
Kerr,
Oskar Meyer schließen sich vielleicht an. Am Ende auch
Georg Hirschfeld (
Elly dürfte wegen
Kerr u
Goldmann sehr dafür sein.) –
Ein paar Stunden täglich plaudere ich mit einer angehenden nicht hübschen
Schauspielerin, die für ihre 18 Jahre von einer unglaublichen Klugheit ist. Sie wohnt hier mit ihrer
Schwester, die ein 16jähriges
keckes aber gescheidtes Judenmädl ist; stets ist auch ein junges blondes
Ding mit ihnen, die wahrscheinlich verrückt werden wird. Gestern hab ich mit denen allen in ihrem kleinen Garten genachtmahlt. Die
Schauspielerin hatte Nachmittags die
Madonna Dianora studirt; der kleinen
Schwester hatte ein 20jähriger
Verehrer »
Gestern« aus
Wien mitgebracht. Ich finde den Zufall hübsch, der es macht, dass Sie das gleich erfahren können; nichts beruhigt mehr über die Vielheit u Verwirrtheit des Lebens, als we
nn man Fäden irgendwo zusa
mmen laufen sieht. –
Sonst hab ich hier noch Dr
Redlich und seine
Frau (die
Königsbergerin) gesprochen; meine
Mama u meine
Schwester wohnen hier,
Schwägerin u Familie in
Edlach. Den Vormittg verbu
mml ich und verspazier’ ich; nur nach Tisch arbeite ich. – Wie denken Sie den Rest des Sommers zu verbringen? Es ist sehr wahrscheinlich, dss ich Anfangs August in
Ischl sein werde; sollte man sich nicht irgendwo, in
Salzburg z. B. begegnen können? –
Richard arbeitet. Als ich bei ihm war, befand sich seine
Frau nicht sehr wohl, doch scheint es jetzt viel besser oder ganz gut zu gehn. Schreiben Sie mir recht bald wieder, ists kein Brief, so sei es eine Karte. Aber verlieren wir uns keineswegs, auch nicht auf Tage, ganz aus den Augen.
Ich hoffe Ihr
Papa ist ganz gesund. Grüßen Sie ihn, Ihre
Mama, und die Familie
Speyer mehr oder weniger.
Benützen Sie nur meine
Wiener Adresse, das ist am sichersten. Ich habe vergessen, dass ich Sie von der
Schauspielerin sehr herzlich grüßen soll.