Arthur Schnitzler an Georg Brandes, 12. 1. 1899

Verehrter Herr Brandes,

gestern hab ich Ihren Brief bekommen und aus dem erfahren, dss Sie wieder zu Bette liegen. Abends stand es in einer Berliner Zeitung zu lesen, mit dem Beisatz, dss Sie sich schon auf dem Weg der Besserung befinden. Ich hoffe, dass es sich so verhält und dass Sie bald ganz gesund sind. Meine innigsten Wünsche sind bei Ihnen, das wissen Sie. Auch von Ihrem Streit mit den Deutschen hab ich durch die Zeitung erfahren; Sie sollen irgend einen Vortrag abgesagt haben, im Verein »Berliner Presse«, aus »polit. Gründen«. Fügen Sie Ihren Antipathien gegen Preußen und Frankreich nur getrost die gegen Oesterreich bei. Lesen Sie manchmal Wiener Zeitungen, Parlaments- und Gemeinderathsberichte? Es ist staunenswerth, unter was für Schweinen wir hier leben; – und ich denke immer, selbst Antisemiten müßte es doch auffallen, dass der Antisemitismus – von allem andern abgesehen – jedenfalls die sonderbare Kraft hat, die verlogensten Gemeinheiten der menschlichen Natur zu Tage zu fördern und sie aufs höchste auszubilden. Wie merkwürdig, dass sogar die offenbaren Mängel, Fehler, meinetwegen Verbrechen der Judenpresse, die man als so spezifisch jüdisch hinstellen wollte, von der Antisemitenpresse ins ungeheuerliche ausgebildet worden sind. Aber wir wollen über diese widerlichen Dinge lieber gar nicht reden.
Ich freue mich, dss das »Vermächtnis« einigen Beifall bei Ihnen gefunden hat. Mir selbst ist nur der erste Akt lieb; dann gewisse Partien des letzten. Solange die Hauptperson auf der Scene ist, hab ich das Stück nicht gern. Die ist ganz unpersönlich geblieben find ich. Während der Proben fiel mir mancherlei ein, wodurch ich das Stück hätte höher bringen können; vor allem hätt ich das Kind müssen am Leben lassen; – aber es scheint ich bin nicht anständig genug, um ein Stück noch auf der Probe zurückzuziehn, selbst wenn ich weiss, wie es besser zu machen wäre. Es hat in Berlin und Wien bei der Erstaufführung viel Erfolg gehabt; in Berlin verschwand es bald; hier scheint es sich zu halten. Irgend eine Zukunft hat es gewiss nicht – und wahrhaftig nicht nur wegen seiner Traurigkeit –! – Nun hab ich was geschrieben, das mir lieber ist; drei kleine Stücke, von denen das eine »Der grüne Kakadu«, das beste, großen Schwierigkeiten begegnet. In Berlin haben sie es verboten; – hier will die Hofcensur die unmöglichsten Aenderungen. Es spielt am Abend der Bastillenerstürmung zu Paris – aber ich soll den »Blutgeruch« herausstreichen. Auch dass ein Herzog umgebracht wird, will den Leuten nicht gefallen. Ich freu mich Ihnen das Ding bald zu schicken; es wird Sie wahrscheinlich amusiren.
Und jetzt bin ich mit einer ganz phantastischen fünfactigen Sache beschäftigt; mir scheint überhaupt als käme ich jetzt in andere Gegenden. Wer weiss, ob alles bisherige nicht doch nur Tagebuch war; wenigstens von einer gewissen Zeit an. (Denn früher einmal, von meinem 9. bis zu meinem 20. Jahr hab ich geschrieben, »wie der Vogel singt« – ich muss damals sehr glücklich gewesen sein; denn ich erinnere mich gar nicht, wie ichs eigentlich gemacht habe. Ich habe noch manches; Trauerspiele und Fastnachtsspiele und komische Romane; nahezu durchaus blödsinnig; aber ich habe selbst zu der Zeit, da ich diese Dinge schrieb, nie das Bedürfnis gehabt, es irgend wem zu zeigen. So wird man zudringlicher, niedriger und unfröhlicher von Jahr zu Jahr. –)
Hoffentlich schwingt sich Beer-Hofmann auf, Ihnen selbst zu schreiben; faul ist er allerdings enorm. Sie wissen wahrscheinlich nicht einmal, dss er geheiratet hat, Paula, die Sie kennen auch hat er schon zwei Töchter, die Mirjam und Naëmie heißen. Aber seine neue Novelle (was ich davon kenne ist wunderschön) ist noch nicht fertig.
Ist Ihnen ein Roman bekannt, die Juden von Zirndorf, von Wassermann? Ich glaube, das ist derjenige Mensch, der den deutschen Roman vom Anfang des nächsten Jahrhunderts schreiben wird. Sind Ihnen die Novelletten zugekommen, die ich Ihnen im Frühjahr schickte? (»Frau des Weisen«. –)
Von Ihrem Ausflug nach Polen und Ihrem Empfang haben wir hier gelesen; dagegen hab ich von Ihren Gedichten absolut nichts gewußt. Werden Sie sie übersetzen lassen? Sind sie schön? Haben Sie sie gern? Wie viele Stunden hat Ihr Tag! Zu allem haben Sie Zeit. Und alles bewahren Sie auf, das ist das Bewunderungswürdige, und darum sind Sie so reich.
Ich wünschte, Sie würden gleich gesund, reisten wieder nach Italien, und blieben wieder ein paar Tage in Wien. Ein Wort von Ihnen, wie’s Ihnen geht, brächte mir jedenfalls viel Freude.
Herzlich grüßt Sie Ihr Ihnen
treuergebener
ArthurSchnitzler
Wien 12. 1. 99.

    in einer Berliner Zeitung zu lesen] Vgl. V. A.: Bei Georg Brandes. In: Berliner Tageblatt, Jg. 28, Nr. 16, 9. 1. 1899, Abend-Ausgabe, S. 3: »Aus Kopenhagen schreibt uns unser dortiger Korrespondent: Dr. Georg Brandes muß leider wieder das Bett hüten und zwar wegen seines alten Leidens: Venenentzündung. Ich besuchte gestern den berühmten Autor. . . . ›Und jetzt liege ich hier seit drei Wochen auf meinem Schmerzenslager,‹ sagte Brandes mit einem matten Lächeln; ›wann und wie die Aerzte mir wieder auf die Beine helfen können, wissen sie ja selber nicht.‹ / . . . Eine Besserung ist jedoch augenscheinlich eingetreten, welche hoffentlich fortschreiten wird.«.

    Deutschen hab ich durch die Zeitung] Vgl. [O. V.:] Köllers Erfolge. In: Berliner Tageblatt, Jg. 28, Nr. 9, 5. 1. 1899, Abend-Ausgabe, S. 2: »Georg Brandes, der vom ›Verein Berliner Presse‹ aufgefordert worden war, nach Berlin zu kommen, um einen Vortrag zum Besten der Hilfskasse des genannten Vereins zu halten, hat geantwortet, daß ein dänischer Autor während der gegenwärtigen Verhältnisse in Nordschleswig unmöglich Vorträge in Berlin halten könne.«

    geheiratet] Die Hochzeit hatte am 14. 5. 1898 in einer Synagoge in Wien stattgefunden.

    gelesen] Die Wiener Zeitungen hatten mehrfach über den Besuch Brandes in Lemberg berichtet, so etwa die Neue Freie Presse in der ungezeichneten Meldung Georg Brandes in Lemberg ([O. V.], Nr. 12300, 19. 11. 1898, Morgenausgabe, S. 4) »Georg Brandes, der einer Einladung nach Lemberg zu der am 20. November stattfindenden Enthüllung des Sobiesky-Denkmals Folge gegeben hat, wurde bei seiner Ankunft dasselbst von einer Deputation feierlich empfangen. Die Spitzen der Gesellschaft wetteifern in dem Bestreben, sich dem großen dänischen Schriftsteller für die in seinem ebenaso geistvollen als anregenden Werke ›Polen‹ zum Ausdrucke gebrachten Sympathien erkenntlich zu zeigen.«

    übersetzen] Eine deutsche Übersetzung der Jugendgedichte erschien nicht.