Verehrteſter Herr Brandes,
Sie haben mir einen ſo herzlichen Brief geſchrieben, das freut mich ſehr. Es gehört wohl zu den angenehmſten Erfahrungen, einen Menſchen, der einem längſt viel bedeutet hat, ſich auch menſchlich nah zu fühlen. Laſſen Sie mich das weiter glauben.
Die Milde, mit der Sie mein
Stück beurtheilen ko
m̅t zum großen Theil wohl daher, dſs Sie merken, ich ſelbſt ſchätze es richtig.
*Ich meine, man ſchätzt ſich und, was man macht beinah i
m̅er richtig, we
n̅ man nur überhaupt auf einem gewiſſen Niveau ſteht (Wo iſt nur dieſes Niveau? Da ſteckt die Schwierigkeit!) Man kennt ſich ſelbſt, und das Streben, nur halb unbewußt, geht dahin, ſich
↓ſelbſt↓ miszuverſtehn, was ja freilich nicht angenehmer iſt als ſich zu kennen. Das Leben will im allgemeinen doch, daſs wir zur Klarheit über uns gelangen.
Wie ko
m̅t es nur, dſs Sie mich nach dem
Anatol *für leichtſi
n̅ig hielten, jetzt für ernſt? Und doch iſt vielleicht beides richtig. Ich bin leichtſinnig in der Art wie ich in Erlebniſſe ſtürze un
d ſchwerlebig
durch die Art, wie ſie ſich da
n̅ meiner bemächtigen. Ich glaube, jeder Menſch hat einen großen Lebensfehler, der ihn abhält, ſein Weſen zur möglichen Vollendung zu bringen; meine Sünde mag ſein, dſs ich nicht verſtehe, was zu Ende zu leben. Daher befinde ich mich meiſt in einem Zuſtand beträchtlicher innerer Schlamperei; Dinge, in denen ich eben ſtehe, ſind in Wirklichkeit
*vorbei; andre, die lang zu Ende gelebt ſind, haben ihren Duft zurückgelaſſen – und der Duft von todten Sachen iſt nie ſchön, die Blumen auf den Gräbern ſind eine traurige Ausflucht. Ich glaube mit dieſer unreinlichen ja faſt unmoraliſchen Art inneren Lebens hängt es auch zuſa
m̅en, daſs ich beinah in jedem Einzelfall gedanklich mit allen Möglichkeiten einer Weiterentwicklung fertig bin – und daſs ich den Ereigniſſen ſelbſt meiſtens als ein verblüffter gegenüberſteh.
*Jetzt eben hab ich manche Verdrießlichkeiten durchzumachen, die mich im Arbeiten ja ſogar im ordentlichen Leſen ſtören. Aber bis zum Frühjahr muſs manches in Ordnung kommen, und ich will ein bischen fortreiſen. Da nehme ich mir Ihren »
Shakespeare« mit worauf man ſich freut, das ſoll man in Ruhe zu durchleben ſuchen; auch Bücher. Wenn mir was einfällt während der Lecture, werde ichs Ihnen ſagen, da Sie mir das ſo freundlich erlauben. Daſs
*mir Ihr Buch gefallen wird, iſt ſicher; nicht einfach deshalb weil ich weiſs, dſs alles was Sie ſchreiben ſchön iſt ſondern weil alles was Sie ſchreiben,
Sie ſind. Und das iſt viel, das iſt alles beinah. Sie ſelbſt haben das heuer in einer dieſer wunderbaren
Kopenhagner Stunden ſo einfach geſagt: »Was einer ſchreibt und ob er ſchreibt, iſt eigentlich gleichgiltig, es ko
m̅t drauf an, wer ſchreibt –« Sie ſagten es anders, beſſer, aber der Sinn
*war es.
Ihre Briefe haben faſt alle etwas Wehmuth; Sehnſucht nach Einſamkeit und Schmerz über Einſamkeit liegt darin, beides. Im übrigen gibts den̅ etwas, was traurig macht oder luſtig macht? Ich meine, was die tiefere Trauer und die echte Heiterkeit gibt? Wir ſind wie wir ſind und das Leben hat faſt ſo wenig Macht über uns wie wir über das Leben – Nun aber fange ich an das Gegentheil von dem zu behaupten, *was am Anfang dieſes Briefes ſteht. Das läßt einen Verdacht gegen mich ſelbſt in mir neu erwachen; daſs ich nemlich nicht klug, ſondern »geiſtreich« bin. Es ſind wohl nur Anfälle.
Richard Beer-Hofmann bittet mich, Sie herzlichſt zu grüßen.
Was ich zunächſt ſchreiben möchte, iſt eine Komödie, ſehr geſund, ſehr frech, und wo einer ſiegt
. Denn bis jetzt ſind meine Leute immer recht ſchäbig zu Grunde gegangen – und ſelten war es ein ſchöner Kampf.
– Für heute, mein verehrter Herr Brandes, ſag ich Ihnen einen herzlichen Gruſs, vielen innigen Dank und bin Ihr treu ergebener
Arthur Schnitzler