Hugo von Hofmannsthal und Hermine Benedict an Arthur Schnitzler, 21. [8. 1896]

Alt.aussee 21ten

lieber Arthur!

Ihre erstaunten Augen beim Eröffnen dieses Briefes
zu sehen interessiert mich weniger als zu erfahren, wie Ihr vier Menschen
besonders Richard und Paula, von der man nicht recht weiß,
ob sie außer der Seekrankheit noch etwas merkwürdiges in Dänemark erlebt hat
(und ob das Mädchen mit dem Loch im Strumpf schon »die Episode« genannt werden darf
weiß man ja auch nicht) Euch befindet.
Von Paul hab ich immer die Empfindung, er
erinnert sich auch so gut an die Heroinenzeit beim »Leopold« in Ischl vor 2 Jahren
wie wir alle, aber gar nicht mehr ordentlich an mich und ich hab ihn wirklich
nur einmal gesehen und kann da- her unmöglich so warm empfinden wie jener Dichter.
Ich verlange mir sehr zu wissen, ob das was wir einmal in der Nacht nach der Soirée
besprochen, auf Wahrheit beruht – mir will scheinen – nein – 3mal Nein!!
ich hoffe ja!: dass Sie einmal für ein paar Wochen von allen inneren Gewöhnungen losgekommen,
ist für Sie wahrscheinlich sehr gut, aber für das, was Sie früher beschäftigt, recht traurig.
Umso besser! – Dass Sie in dem zweiten Act dem Mädel mehr Leben gegeben haben, wird sicher
eine große Wirkung haben, denn wir haben ja schon oft besprochen, daß die Christine davon nicht genug habe
und das Stück braucht Rührung, sonst wird es trocken und revoltierend. Meine
Neugierde, es zu lesen, kennt keine Grenzen, denn wenn man Leute nicht oft sieht, muss man in ihren Zeilen lesen
und das ist schwer, denn leider drücken immer nur einzelne kleine Sachen das Wirkliche aus,
während große Thaten und große Züge, die darauf angelegt sind, charakteristisch zu wirken, eine ganze Welt von Mißverständnissen hervorrufen.
Werden wir heuer endlich theaterspielen? sind wir zu jung oder zu alt dazu? Oder zu ernst, oder
»zu alt, um nur zu spielen«? Jedenfalls müsste die weibliche Hauptrolle diesmal nicht von Ihnen geschrieben sein,
(warum?). Meine Novelle werden Sie nie sehen. Nie heißt nie. Weil sie so schlecht ist.
Er zeigt nicht einmal die guten Sachen herzu. Doch müsste man ihn manchmal lesen, wenn die Person undeutlich wird.
Freilich haben meine Sachen wieder das Häßliche, dass alles allzudeutlich gesagt ist. Ob der Richard
wieder etwas schreibt, ist, wie ich reumüthig bekenne, für uns Altausseer ganz interessant,
ich versuche mir manchmal vorzustellen wie es wäre, wenn Sie hier wären
und ob wir alle Drei dabei nicht viel netter herauskämen, was ich ganz bestimmt glaube; seien Sie
nicht bös, aber ich bin sicher wir würden uns schrecklich nervös machen und beinahe streiten, denn
zwei noch so gute, gleichgeartete, männliche Naturen haben nicht die Größe nett neben einander einherzugehen
wenn zwischen ihnen etwas Halbwahres beunruhigend herumwimmelt. Deswegen
werden Sie doch herkommen, schon allein um diese jugendliche Behauptung von »Halbwahr« zu widerlegen,
wozu Sie ja durch Ihre oft besprochene Überschätzung der weiblichen »Individualitäten« so geeignet sind.
Glücklich der, welcher imstande ist, Gestalten zu schaffen, an die er glaubt, drum lassen Sie sich nicht hetzen,
sondern glauben Sie ruhig weiter, auf das Wirkliche kommt’s nicht an, denn vielleicht existiert es gar nicht.
Ich glaube, wir brauchen Sie darüber nicht aufzuklären, Sie haben ein so starkes Wahrheitsgefühl,
dass Sie auch den dreifachen Sinn dieses Briefes erkannt haben werden, worüber Sie nächstens in Wien mir (nur hier) Auskunft geben können.
Herzlich Ihr
Hugo.

    Briefes] vgl. A. S.: Tagebuch, 26. 8. 1896