Arthur Schnitzler an Hugo von Hofmannsthal, 1. 9. 1895



*Lieber Hugo. Von Salzburg aus, wo Richard, Salten u. die Salomé zuſaen waren, fuhren ich u. S. per Rad davon. Das war ſehr ſchön. Man hat ſchon ganz aufgehört, ſo mitten durch Dörfer und Flecken zu fahren, mitten dur[ch] das Leben und die Naivität eines Ortes. Von Stationen aus, wo ſich naturgemäß künſtliches ſaelt, ſieht man das alles ſchief. Auch die Landſtraßen werden wieder lebendig, wachen auf, und man gehört mit zu den Erweckenden. Auch Zufälle gibt es wieder, und, das beſte, man hält den Zug an, wo es beliebt. *Dagegen fällt das mancherlei unangenehme, dſs es regnen kann und daſs man naſs u kotig wird u ſtürzt, wenig ins Gewicht. Wir hatten darunter genug zu leiden, mußten ſogar in einem Zollhaus ſtundenlang ein beſſres Wetter abwarten. Amüſant war es, wie gerade an der bair-oeſterr Grenze, zwiſchen Reichenhall u Lofer, Burckhard auf einem Rad entgegenkam, der von Innsbruck nach Iſchl fuhr. Bei dieſem Menſchen iſt eine Miſchung von »reinem Thoren« und gefinkeltem Diplomaten ſehr intereſſant, welche mir ier zweifelloſer *wird. Sein perſönlicher Charme iſt vielleicht dieſes Durchleuchtetwerden eines verworrenen bunten ſelbſt trüben Äußern von innen her.
Worüber noch einiges zu ſagen wäre. Hier, in M. bin ich ſeit Donnerſtag mit Paul Gldm. zuſaen, der ſehr gut ausſieht, aber mit Schickſal und Ausſichten wenig zufrieden iſt und insbeſondere daran leidet, daſs er ſeine eigene Thätigkeit nicht genügend ſchätzt, weil ſie nicht in der wünſchenswerthen Weiſe anerkannt wird. Iſt übrigens wie ier voll Verſtand, Verſtändnis, Herzlichkeit, Freude am Schönen; wohlthuend in dem, was er bringt, und in *der Art wie er aufnit. Seit geſtern Abend iſt auch Richard da, und die Salomé ſoll am 3. od. 4. koen. – Im Glaspalaſt iſt ſehr wenig gutes, viel mittelmäßiges und zu viel ſchlechtes. Viel mehr iſt in der Secession zu ſehn; manches, das weit über den Schweinen und weit über den Schnapsflaſchen des techniſch ausgezeichneten Heyden ſteht. Die Meiſterſinger hab ich ſchon einmal gehört, heute wieder. Neulich Triſtan, dem arger Schade zugefügt wird, indem man ſich einbildet, ihn ungekürzt geben zu können oder gar zu müſſen. An den Geſchwiſtern u am Clavigo hab ich mich trotz vieler Mängel der Darſtellung *neulich tief erfreut. Zum erſten Mal (in den Geſchwiſtern) die Conrad-Ramlo geſehn, die viel zu bedeuten ſcheint. – Heute wird Sedan gefeiert; Fahnen, Wimpeln, Feſtzeitungen, Feſtvorſtellungen, Menſchen auf der Straße hin u her, geſchmückte Stadt – wohl auch einige von Stolz und Begeiſterung geſchwellte Herzen, die man zum Glück nicht ſieht. Das andre aber iſt ein helles und freundliches Bild.
– Freitag den 6. werde ich wohl wieder in Wien ſein; ſchreiben Sie mir von den Manövern aus, wenn Sie Zeit haben, noch eine Zeile dahin. Sagen Sie, wie iſt de eigentlich *Ihr Rennen ausgefallen? –
Von Paul u Richard, wie von mir die herzlichſten Grüße. Jetzt wollen wir, vor der Oper, nach Nymphenburg fahren.
Ihr
Arthur
München, 1. Sept. 95.
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