Peter Altenberg an Arthur Schnitzler, [30. 7. 1895]



*Lieber Dr. Arthur Schnitzler.

Ich habe nach Wien geſchrieben in ihrer Angelegenheit, glaube aber, daß es mit Schwierigkeiten verbunden ſein dürfte. Jedenfalls benachrichtige ich Sie. Kommen Sie doch herüber. Sie ſind geſund u. mobil. Kommen Sie mit Richard Beer-Hofmann. Ich bin wie ſtets von Gmunden tief entzückt. Es iſt gleichſam für *mich geſchaffen. Und dann, es muß mir halt die Welten-Schönheit rp repräſentiren. Wenn die Leute am Strande hin u. hertrippeln, iſt es Oſtende, Scheweningen, wenn die Muſik ſpielt u. Damen in Chiné-Seide erſcheinen, iſt es Karlsbad, Marienbad, wenn der Traunſtein ziegelroth wird, iſt es die Schweiz u. wenn der Abendfriede kot, iſt d es die ? Welt, die Zukunft, das Ende. Glauben Sie mir, lieber Dr. Arthur, wir Armen ſind wie gewiſſe *Kranke. Gewiſſe Organe verfeinern ſich, erhöhen ihre Leiſtungsfähigkeiten, um den Ausfall anderer zu decken. So iſt es mit der Potenz in jeder Form. Ekonomiſche Kräfte, sexuelle Kräfte, werden durch erhöhte ſeeliſche ausgeglichen. Das Gehirn übernit gleichſam ihre Aufgabe u. macht ſich die Verkümmerung zu Nutze.
Sie werden ſagen: »Das iſt nicht Harmonie, mein Lieber – – –.« *Wenn Sie das aber nicht antworten, werde ich Sie noch höher ſchätzen, nach meinem berühmten!? Ausſpruch: »Weiſe ſein heißt, h auch das noch verſtehen, was man nicht mehr verſteht!!«
Adieu, alſo koen Sie doch herüber.
Ihr aufrichtig freundſchaftlicher
Richard Engländer.
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    Angelegenheit] Schnitzler dürfte um die Lieferung von Zigaretten gebeten haben. Vgl. Kommentar zum Brief in Die Selbsterfindung eines Dichters, S. 142.

    herüber] Bereits am Folgetag radelte Schnitzler nach Gmunden.