Arthur Schnitzler an Hugo von Hofmannsthal, 28. 7. 1895



*Ischl, 28/7 95
Mein lieber Hugo, ich habe mich ſehr gefreut, gleich nachdem ich hier angekommen war, Nachricht von Ihnen zu bekommen, und will Sie heute vor Allem herzlich grüßen u Sie bitten, mir recht bald wieder ſo einen Stiungsextract herzuſchicken, denn ſolch deutliche Zeichen eines In Verbindungbleibens tragen zum allgemeinen Lebensgefühl, bei mir wenigſtens, recht viel bei, und ſo ſollen *Ihre Briefe mit zum Sommer, zum »Erholen« und zu meiner guten Luft gehören. Treffen Sie dieſe Worte noch in Göding? Für alle Fälle ſchickt man Ihnen ja nach, denk’ ich. – Mir geht es hier, bis jetzt, ganz behaglich; ich fahre Bicycle, bade in Strobl, geh ins Theater, bin nicht wenig allein, leſe Chartreuse de Parme, weſtöſtl. Divan, Schopenhauerſche Briefe, habe was kleines geſchrieben und geh langſam an das neue Stück, wovon etwa ein halber Akt da iſt und das mir im Schreiben noch ſehr lieb werden wird.
*Vor den Schopenh. Briefen möcht ich beinahe warnen; ſie machen traurig – ich bin auf Seite 350 oder weiter und finde nichts als eine ſtete Beſchäftigung mit allem Kleinlichen, das um den »Ehrgeiz« herum iſt. Jede kleinſte Recenſion, die da oder dort über ihn erſchienen, wird erwähnt; – und alle Menſchen un[d] Dinge nur in Betracht gezogen, inſofern ſie ſich zu ſeiner Philoſophie, nein, vielmehr zu der Anerkeung ſeiner Philoſophie in Beziehung bringen laſſen. Es iſt nichts über das Leben, nichts über die Kunſt darin zu *finden; etwas ſo papierenes hab ich nie geleſen. Federkratzen, Knittern, Geruch von Büchern – es iſt als hätte die Welt, nachdem er ſie einmal in eine Formel gebracht, aufgehört für ihn zu exiſtiren, un[d] es handelte ſich nur mehr darum, dieſe Formel von der Menſchheit gekannt, bewundert u angebetet zu ſehn. – In dieſer ganzen Unheimlichkeit war die Eitelkeit noch nicht da – und ſo iſt vielleicht auch das wieder groſs? – Eine Stelle lautet ungefähr: »Ich werde geradezu melancholiſch, *wenn ich denke, daſs ich kaum ein Viertel von dem zu leſen bekoe, was ich über mich gedruckt wird.« Das iſt als Motto aufs Buch zu ſetzen. –
Goldma werden wir heuer wohl wieder ſehn; es ſcheint, Anfang September, aber alles das, wie auch Kopenhagen iſt nicht ganz ſicher. Sehr wahrſcheinlich werde ich gegen Mitte Auguſt auf ein paar Tage nach Wien; und Sie? Koen Sie auch noch einmal vor den großen Manövern nach Wien? Das *laſſen Sie mich für alle Fälle wiſſen. –
Leben Sie wohl und ſeien Sie vielmals gegrüßt.
Ihr
Arthur.
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    Ich werde geradezu melancholisch, wenn ich denke, dass ich kaum ein Viertel von dem zu lesen bekomme, was ich über mich gedruckt wird.] Mehrfach im Buch geäußerter Gedanke, obzwar für gewöhnlich »die Hälfte« entgeht. (Schopenhauer-Briefe. Sammlung meist ungedruckter oder schwer zugänglicher Briefer von, an und über Schopenhauer. Mit Anmerkungen und biographischen Analekten. Hg. Ludwig Schemann. Leipzig: Brockhaus 1893, S. 292, S. 324.) Denkbar wäre auch, dass er eine frühere Ausgabe von Briefen liest. An Julius Frauenstädt schreibt Schopenhauer: »Trotz Ihrer und meiner Vigilanz glaube ich, daß von Dem, was über mich gedruckt wird, etwan ¼ uns ganz entgeht.« (Arthur Schopenhauer. Von ihm. Über ihn. Ein Wort der Vertheidigung von Ernst Otto Lindner und Memorabilien, Briefe und Nachlassstücke von Julius Frauenstädt. Berlin: A. W. Hayn 1863, S. 584.)