Verzeihen Sie, dass ich Sie bis jetzt ohne Nachricht liess; aber einmal schrieb mir
Magaziner, er habe Sie gesprochen und Ihnen von mir erzählt, und da
nn wünschten Sie Briefe und
ich brachte es bisher nur zu Karten. Endlich aber – das kö
nnen Sie sich denken – war ich in der ersten Zeit in trostloser Sti
mmung, und aus der heraus mochte ich Ihnen nicht schreiben, ich wollte wenigstens vorher erfahren, ob ich überhaupt noch werde leben kö
nnen; we
nn auch noch nicht, wie ich werde leben kö
nnen. Der erste Tag hier brachte mir gleich Enttäuschungen:
Spitteler ist nicht
mehr Feuilletonredakteur der
Neuen Zürcher Zeitung,
Widman wohnt z. Z. in Italien, der
Bekannte, an den mich
Magaziner empfahl, ist ein eckelhafter Lump, ein Reporterjüngling miserabelster Sorte. Dazu die Nachricht, dass ich auch hier wahrscheinlich werde ausgewiesen werden. Nun zeigte es sich auch diesmal, dass nichts so heiss gegessen, wie gekocht wird. Die
N. Z. Z. hat bereits ein Feuilleton von mir acceptiert und wird weitere acceptieren, mit
Widman wird bei seiner Rückkehr auch etwas zu machen sein, und was die Hauptsache anlangt, so werde ich wahrscheinlich gegen Erlag einer Kaution von 1,500 frcs in monatlichen Raten à 20 frcs hier bleiben kö
nnen. Freilich wirds mir in der ersten Zeit miserabel gehen; de
nn das Leben hier ist furchtbar teuer, oder besser gesagt das Existenzminimum liegt viel höher als in
Wien. Mit 50 fl monatlich ka
nn man einfach nicht leben. Ich muss auf alle Weise zu verdienen suchen. Die
Presse hat seit 1 Monat ein
Feuilleton von mir und druckt es nicht; obgleich es angeno
mmen ist. Sie würden mich sehr verpflichten, we
nn Sie deshalb mit
Hirschfeld redeten oder, falls er schon abgereist ist, ihm wenigstens schrieben. Soll ich ihm auch schreiben? und wohin? und was? Auch
Wengraf–
Osten rühren sich nicht; ich habe, seit ich hier bin, kein
Belegexemplar erhalten, obgleich sie meine Adresse doch wissen.
Vom
Zürcher literarischen Leben ka
nn ich Ihnen noch nichts sagen; ich ke
nne noch niemanden.
Henckell ist verreist, mit
M. R. v. Stern verkehrt niemand; wird mir nichts übrig bleiben, als
Ilse Frapan aufzusuchen und mir ihre Novellen vorlesen zu lassen.
Bölsche lebt wieder in
Berlin,
Halbe in
München.
Windberg hab ich getroffen und treff ich oft; er ist noch mein Trost. Ausserdem ka
nn ich von anständigen Menschen hier den Schauspieler
Néher, früher bei den
Meiningern, und einen
ungarischen
Studenten; sonst besteht die Fremdenkolonie grösstenteils aus Lumpenpack. Übrigens ist die Erfahrung zu machen, dass die
deutschen und
österreichischen Deserteure; deren hier eine Unmasse lebt, viel anständiger sind als die in der Heimat nicht beanständigten, mit den wundervollsten Tassen versehenen Fremden – wobei ich nicht pro domo rede. Mit den
Zürchern lässt sich schwer was anfangen; man muss viel überwinden. Übrigens muss, will und werde ich mich angewöhnen und selbst ein ganzer
Zürcher werden, Familie gründen etc, was dazu gehört. Halten Sie mir den Daumen, dass mich das Mädel mag. Da
nn werd ich in zwei Jahren Bürger
sein und heiraten.
Schreiben Sie mir einmal; ausser von
Magaziner hab ich von niemandem Nachricht, und Sie wissen nicht, wie ich danach lechze.