Arthur Schnitzler an Lou Andreas-Salomé, 13. 6. 1894



Hochverehrte, gnädige Frau,

Sie haben Recht: ich bin über Ihren Brief verwundert geweſen. Daſs eine Frau wie Sie, gewohnt zwiſchen den tiefſten Problemen wie in ihrem Hausgarten ſpazieren zu wandeln, Zeit und Stiung fand, ſich mit den beſcheidnen Arbeiten eines Unbekannten zu beſchäftigen, mußte mich Wunder nehmen. Aber dieſe Verwunderung *war ein Gemiſch von Stolz und Freude; – ſie iſt vorläufig der einzige Dank, den ich für Sie habe. – Auch überflüßig, gnädige Frau, war ihr Brief, gewiſs, – wie ſo vieles ſchöne und gute, ohne das man ja ſchließlich auch weiter exiſtiren kann, insbeſondre we dman es gar nicht erhofft hat. Iſt es aber einmal da, ſo beglückt es ja doch tauſendmal mehr als manches noth*wendige, ohne das man zu Grunde gehen müſſte. Sie ſprechen von ſich als von einer Stimme aus dem Publikum und mögen ja Recht haben, daſs ſolche Stien im allgemeinen wenig Freude machen; aber Sie müſſen doch einige Ausnahmen gelten laſſen. Sie machen Freude – erſtens we ſie loben, zweitens we *man noch nicht ſonderlich verwöhnt iſt und drittens, we ſie zufällig jemandem angehören, den man ſeit langem kennt und verehrt. Ermeſſen Sie daraus, geſchätzte Stie aus dem Publikum, wie herrlich Sie mir erklungen ſind! Ein Zufall hat es gefügt, daſs ich gleichzeitig mit dem Ihren einen Brief von Georg Brandes erhielt, der mir im *Vergleich zu dem Ihren insbeſondre dadurch intereſſant iſt, daſs er im Gegenſatz zu Ihnen das »Märchen« ganz beträchtlich über den »Anatol« ſtellt. Ich ſelbſt glaube, daſs im Märchen mehr gutes ſteckt als im Anatol, – daſs aber einzelne ausvon den Anatolſcenen als ganzes gelungener ſind. Auch weiſs ich nicht, ob man den Fedor Denner wirklich für überſpannt *und ſeine Empfindung für ſo verzwickt und widerſpruchsvoll halten muſs? Mich dünkt, aber ganze Wirrniſs liegt darin, daſs er theoretiſch eine Frage längſt abgethan hat, der er in einem concreten Fall noch nicht gewachſen iſt; – er widerſpricht ſich eigentlich nicht, er hat ſich nur ſelber misverſtanden. – Auf Ihre vielen freundlichen und auszeich*nende Worte habe ich natürlich keine Einwendung übrig; aber ich ka es nicht läugnen, daſs ich bei einigen Ihrer allzuliebenswürdigen Bemerkungen die gewiſſe Empfindung des Beſchämtſeins hatte wie gegenüber Lobſprüchen, die man ja wohl einmal zu verdienen hofft, die aber überraſchend und unerwartet Früh gekoen ſind.
*Daſs an Ihrem Schreiben, gnädige Frau mein Freund Paul Goldmann nicht ohne Schuld iſt, brauchen Sie kaum zu ſagen: er trägt die Schuld beinahe an allem erfreulichem, das mir in den letzten Jahren begegnet iſt. Ihr Brief gehört nun zu den allererfreulichſsten Dingen, die mir paſſiren konnten – und da Sie ſich ſelbſt aus den Reihen derjenigen weg [Ende des Fragments]
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