Karl Kraus an Arthur Schnitzler, 12. 8. 1893



*Ischl, Ramsauer, 12. 8. 93.
Liebſter Doktor! Eben holte ich mir von der Post den Brief u. beeile mich, Ihnen auf Ihr Schreiben zu antworten: ich bin über die Auskunft des Herrn Entſch ganz paff – es iſt mir nie im Traume eingefallen, dem Magazin eine derartige aus der Luft gegriffene Mittheilung zu machen – das wäre dann eine höchſt abgeſchmackte Fopperei von meiner Seite geweſen, wenn ich Ihnen dann »freudig überraſcht« das Blatt ſchicken konnte: »Sehen Sie, da ſteht was über das ›Märchen‹ drin!« Wie geſagt, liebſter Herr Doktor, nie und nimmer würde mir ſoetwas einfallen, ich habe nie (Sie wiſſen ja, bei *Abſchiedssouper habe ich Sie zu erst brieflich befragt) Herrn Neumann-Hofer den Aufführungstermin Ihres Märchen geſchrieben: das wäre doch meinerſeits eine recht ungeſchickte Reklame für Sie geweſen. Das Ganze muſs unbedingt auf einem Irrthum beruhen, vielleicht erklärt es ſich daraus, daſs ich einmal – Sie haben’s ja geleſen – im Magazin gelegentlich der Anatol-recenſion auch Ihr Märchen als beachtenswertes Schauspiel erwähnte.
Mir iſt die ganze Sache ſehr peinlich, glauben Sie mir! *Jawohl, wenn Sie mir ſelbſt den I Inhalt dieſer vielbeſprochenen Märchennotiz geſagt hätten, mit Vergnügen hätte ich, um Ihnen zu dienen, dem Magazin die Notiz mitgetheilt – aber ſo – wie werde ich ſo plump ſein, ſo etwas aus der Luft zu greifen oder aus dem Finger zu zutzeln und dann Ihnen das Heft mit »freudig–überraschter« Miene noch zuzusenden? Ich bitte Sie, mir nicht böſe zu ſein, daſs ich Ihnen (unverſchuldet!) ſolche Unannehmlichkeiten bereite – aber mich ſelbſt *berührt die Angelegenheit noch viel unangenehmer. Selbſtverſtändlich ſchreibe ich ſofort dem Magazin u. erſuche um Aufklärung. Der Entſchbrief liegt bei. Ich bin mit den herzlichſten Grüßen Ihr
KarlKraus.
NB. um von freundlicheren Sachen zu ſprechen: Beer Hofmanns »Kind« iſt ein prächtiger, geſunder Bengel. Der grauſame Vater will es – verlegen laſſen.
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    Mittheilung] Auf S. 469 der Nr. 29 vom 22. 7. 1893 stand: »Am Lessingtheater kommen ferner noch im Laufe des Sommers ein Drama von Fedor von Zobeltitz: ›Ohne Geläut‹ und ein dreiaktiges Schauspiel von DrArthur Schnitzler in Wien: ›Das Märchen‹, zur Aufführung.«

    verlegen] Richard Beer-Hofmann: Novellen. Berlin: Freund & Jeckel 1893. Enthält: Das Kind und Camelias. Erschienen Anfang Dezember 1893.