Arthur Schnitzler an Hugo von Hofmannsthal, 2. 8. 1893



*Wien, 2. 8. 93

Mein lieber Hugo,

ich las Ihren Brief an Salten. Daſs Sie nicht in München, wußt’ ich, da ich Bahr ſprach. Sie wollen im September hin? Nicht unmöglich, daſs ich mich anſchließe; de ich habe zur Waffenübung keine Einberufung bekoen, u dürfte auch vorausſichtlich keine mehr erhalten.
Vorläufig bleibe ich in Wien; Mitte Auguſt fahre ich vielleicht mit Mama weg, *mache auch event. eine Bicycletour mit Salten. Sie müſſen Bic. fahren lernen; ebenſo wie Richard; es iſt wirklich ein großes Vergnügen. –
Wien bietet mir jetzt einiges zu thun; eine kleine Couſine von mir iſt ſchwer krank; die beſuch’ ich 1, 2, 3 mal im Tag; da ab u zu irgend was andres ärztliches, ſo daſs die Zeit zerſplittert iſt. Abends zuweilen auf dem Kahlenberg, wo Mama u Schweſter wohnen oder mit dem Bic. da oder dorthin.
*– Die »luſtige« Novelle hab ich bis auf wenige Zeilen beendet, die ich erſt ſchreiben kann, wenn ich Luſt bekoe, das ganze Zeug wieder durchzuleſen. Was ich zunächſt ſchreiben werde, iſt unklar – am liebſten eins meiner im Umriſs fertigen 3aktigen Stücke; aber ich ſtehe der dramatiſchen Kunſt unglaublich muthlos gegenüber; ja ich hatte in der letzten Zeit oft die Empfindung, daſs ich überhaupt nie *ein gutes Stück werde ſchreiben können. Geſtalten u Scenen, einzelne, wären da; aber mir iſt, als hätt’ ich jedes ſtrategiſche Talent verloren. Vielleicht hatt’ ichs auch nie – und hab nur aus meinen kleinen Schmerzen die großen SDreiakter machen können; und ſeit meinen großen Schmerzen hab werden mir nur die kleinen Novellettchen gelingen. Wie leicht, wie mühelos hab ich vor – zehn, zwölf Jahren geſchrieben, – *es kam zwar nie was gutes heraus; aber ich war damals vielleicht ein echterer »Poet« als heut. Denn heut nagen an meiner Poeſie viele Würmer, z. B. das Leben. –
– Wollen Sie mir nicht Ihre Pläne für den Reſt des Soers mittheilen. Es iſt nicht unmöglich, daſs wir uns begegnen können. Jedenfalls ſchreiben Sie mir einige Zeilen – oder Seiten, was mir lieber wäre. Beleuchten *Sie mit einem »Flähmchen« die ganze Umgebung!
Herzlich der Ihre
Arthur
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