Karl Kraus an Arthur Schnitzler, 21. 7. 1893



*Schnitzler

*Karl Kraus Wien I., Maximilianstrasse 13.Ischl 21. Juli, 1893

Mein liebſter, verehrter Herr Doctor!

Daſs Sie ſo »ſpurlos« ſich auch dem Staube gemacht haben, thut mir ſehr leid. Seit Ihrer Vorſtellung haben wir uns ja gar nicht gesprochen.
»Sieh’ſt du, das hätt’ (!!!!) ich dir doch nicht geſagt!« – ich werde dieſen genialen Zug in Frl. Falkner’s Darſtellung nie vergeſſen. Und darauf noch dröhnender Abgangsapplaus, der d auch die zweite Schluſspointe (»Es iſt ja leicht gegangen etc«) unmöglich machte! Von dem »Bordellſtück« »Abſchiedsouper« wird hier viel geſprochen.
Meine herzlichſte Gratulation zur Kritik in N. Fr. Preſſe (und Bauer im Extrablatt)! Sehr dämlich hat ſich Herr Skrein in der »Allgemeinen« geäußert.
Dies mal haben N. Fr. Pr. u. Allgemeine die Rollen getauſcht.
*Ich habe eine Notiz an das Wiener Tagblatt geſchickt; hoffentlich wird (oder, wenn Sie dieſen Brief erhalten) wurde es gedruckt. Im Magazin wird nichts erſcheinen. Allerdings bin ich nicht ſchuld. Damit Sie meinen guten Willen ſehen, ſende ich Ihnen beiliegend meine KritikNotiz, die mir heute Neumann-Hofer zurückſandte – mit der Bemerkung:
»Eine Vorſtellung in Ischl kann in einem Wochenblatte nicht beſprochen werden. Solche gelegentlichen Ereigniſſe ſind auf die Notiznahme ſeitens der Tagesblätter beſchränkt.« Na, alſo! –
Devrient’s Vorleſung war famos: namentlich Fontane.
Ich habe ihm gleich nach unſerer ſeinerzeit. Unterredung nach Wien geſchrieben, er ſolle *Liliencron leſen. Nun hat er mich – ſelbſt aufgeſucht. Liebenswürdig, was? Wie gedruckt; Liliencron, den er ſich gleich kaufte, hat ihn entzückt u. er wird ihn beſtimmt in Wien vorleſen. Er fragte mich auch, ob ich Gedichte von Ihnen hätte; er wollte ſie nämlich in Marienbad, wohin er ſich noch am Tage des Beſuches begab, vorleſen. Da nun aber die Vorleſung gleich auf den nächſten Tag angeſetzt war, lehnte er auch eine eventuelles Telegramm an Sie (zu dem ich mich bereit erklärte) ab. Aber im Winter will er’s nachholen.
Leben Sie wohl, bitte beſte Grüße an Loris u Salten auszurichten!
Herzlichſst Ihr ſehr ergebener
KarlKraus
N.B. Was ſagen Sie zur »Freien Bühne« in Wien, die – Elbogen aufführt. Ist das nicht zum Todtlachen? Die Veranstalter ſind Revolverjournalisten.
*KARL KRAUS Wien I., Maximilianstrasse 13.Ischl 15. VII 1893
Arthur Schnitzlers einaktige Komödie »Abſchiedssouper« fand im Ischler Stadttheater ihre Probeaufführung. Das kleine oberöſterreichiſche Curorttheater iſt die erſte Bühne, die ſich des prächtigen Stückleins angenommen hat.
Der überaus lebendige, geiſtreiche Einakter, der eine geradezu bravouröſe Technik aufweist, iſt die wirkſamſte der ſieben »Anatol«studien (siehe Besprechung in Nr. 18) und fand den lebhafteſten Beifall, den nur einige »verſchämte«, in ihren heiligſten Gefühlen verletzte Curgäſte im Intereſſe der publiken und privatenprivaten und publiken Sicherheit abwehren zu müſſen glaubten. Geſpielt wurde recht brav; namentlich zeichnete ſich der treffliche Jarno vom berliner Reſidenztheater als Max aus. Die famoſe Schluſspointe gieng leider wirkungslos, weil unverſtanden, vorüber. –
Arthur Schnitzler, neben Loris der talentvollſte unter den wenigen talentierten Wienern, muſste hat an dieſem Abend die Concurrenz – der Herren Moſer & Miſch aushalten müſſen, deren dreiaktiger Schwank »Fräulein Frau« gegeben wurde. Nach dem grobkörnigen Schablonenmachwerk das graziöſe Kunſtwerkchen! Das war denn nun ein beſchämend leichter Sieg für Arthur Schnitzler. Daſs ſich gleichwohl die beiden Schwankherren mit ihrem »Fräulein Frau« die Bühnen früher erobert haben als Schnitzler, der ja doch zu den böſen Modernen i. e. »Unſittlichen« gehört, mit irgend einem ſeiner Werke, iſt bei der Einſichtsloſigkeit unſerer Bühnenleiter begreiflich.
(K.K.)
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    Kritik] [O. V.:] [Aus Ischl, 14. Juli, schreibt man uns]. In: Neue Freie Presse, Nr. 10.381, 18. 7. 1893, S. 6.

    Bauer] [O. V. = Julius Bauer:] [Abschiedssouper in Ischl]. In: Illustrirtes Wiener Extrablatt, Jg. 22, Nr. 196, 18. 7. 1893, S. 5.

    Skrein] Stefan: Ischler Brief. In: Wiener Allgemeine Zeitung, Jg. 14, Nr. 4593, 18. 7. 1893, S. 2.

    geschickt] [O. V.:] Ischler Sommertheater. In: Wiener Abendblatt, Jg. 29, Nr. 199, 21. 7. 1893, S. 4.

    Besprechung] [O. V.:] Arthur Schnitzler. In: Das Magazin für Litteratur, Jg. 62, Nr. 18, 6. 5. 1893, S. 294.