Sie haben ein Recht, ungehalten zu sein, aber ich wünschte Sie in meine Lage, um dann Ihr Urteil zu hören. Ihr Mahnbrief ist bis jetzt unbeantwortet geblieben, weil ich verreist war, – eine äußerst notwendige Ruhepause! Daß Ihre
Novelle nicht vorher erledigt war, ist ja eine redaktionelle Sünde. Bei der Masse der Einsendung und in Anbetracht des Umstandes, daß ich die Redaktion bis in jede Couvertadresse hinein ganz allein zu besorgen habe, ist es mir allerdings noch nicht einmal als »Ideal« aufgetaucht, spätestens in 8 Tagen jede Einsendung erledigen zu können, zumal da ¾ der Einsender selbst bei dicken Romanen und Dramen nicht bloß redaktionelle, sondern auch noch »wirkliche« Urteile verlangen.
Was Ihre
Novelle anbetrifft, so ist sie mir psychologisch nicht recht durchdringlich: in dieser fragmentarischen Form liest sie sich bloß wie eine Umschreibung des
Lombroso’schen Dogma’s von der gleichsam prädestinierten Dirne
, aber nicht wie eine Dichtung. Entschieden verlangt dieser Stoff viel mehr Fleisch und Blut, und vielleicht bearbeiten Sie ihn so noch einmal. Die
Szene, wie das Mädchen dem Bräutigam ihre Gefühle bekennt, halte ich für psychologisch sehr unwahrscheinlich!